Forschungsprojekt: Neue Wege zu einem grenzüberschreitenden Rotwildmanagement in Zeiten des Klimawandels
Abb.1: Das Projektgebiet umfasste die Flächen der Nationalparke Bayerischer Wald und Šumava sowie Teile der staatlichen Forstbetriebe Neureichenau (Bayern) und Kubany (Tschechien) und wies damit eine Größe von ca. 200.000 ha auf. Mit einsetzenden Schneefällen zieht das Rotwild in die über das gesamte Projektgebiet verteilten Wintergatter, in denen es über den Winter gefüttert wird. Die Gatter werden im Frühjahr wieder geöffnet, sobald den Tieren natürliche Nahrung in ausreichender Menge zur Verfügung steht.
Hintergrund des Projekts
Mit GPS-Halsbandsender markiertes Rotwild-Alttier (© Rotwildprojekt)
Abb.2: Entwicklung des Rotwild-Zählbestands (© Rotwildprojekt)
Von den regionalen Landnutzern wird die Entwicklung der Rotwildpopulation kritisch bewertet. Es besteht die Befürchtung, dass mit dem steigenden Wildbestand eine Zunahme der Wildschäden einhergeht. Basierend auf den Ergebnissen der jährlich stattfindenden Rotwildtagungen in Mauth und den Initiativen der Regierung von Niederbayern wurde das Forschungsprojekt „Neue Wege zu einem grenzübergreifenden Rotwildmanagement in Zeiten des Klimawandels“ – kurz „Rotwildprojekt“ – konzipiert. Folgende Ziele sollten mit dem Forschungsprojekt erreicht werden:
- Erprobung und Weiterentwicklung unterschiedlicher Verfahren zur Erfassung der Populationsdichte und -struktur
- Erfassung von Populationsdichte und -struktur sowie eine Analyse der Raumnutzung der lokalen Rotwildpopulation
- Ableitung von Managementempfehlungen für das Projektgebiet, z.B. für ein zukunftsfähiges Populationsmonitoring
- Aufbau einer zweisprachigen Informations- und Kommunikationsplattform
Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren die Rotwildpopulation auf den Flächen der Nationalparke Bayerischer Wald und Šumava, sowie auf Teilen der Fläche der Forstbetriebe Neureichenau und Kubany mittels moderner wildtierbiologischer Methoden untersucht. Zur Erfassung der Populationsdichte wurden parallel ein Fotofallenmonitoring, eine Kotgenotypisierung und die Zählung mittels Infrarotkamera aus der Luft erprobt. Diese wissenschaftlichen Methoden zur absoluten Dichteermittlung lieferten teils auch Informationen zur Raumnutzung, die durch weitere Daten von Tieren mit GPS-Halsbandsendern ergänzt wurden. Darüber hinaus wurden während einer Jagdsaison erlegte Tiere beprobt, um Informationen zur Kondition und Konstitution zu erhalten. Im folgenden Video stellen Dr. Wibke Peters (LWF) und Prof. Dr. Marco Heurich (Nationalpark Bayerischer Wald) das Projektgebiet vor und geben Informationen zu Hintergründen und Zielen des Projekts.
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Wildbiologische Methoden und Ergebnisse
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Die wichtigsten Erkenntnisse für das Projektgebiet in Kürze
Abb.3: Rotwild-Dichteschätzung basierend auf der Kotgenotypisierung (© Rotwildprojekt)
Das Raumnutzungsverhalten des Rotwildes im Projektgebiet wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Veränderte klimatischen Verhältnisse führen beispielsweise dazu, dass migrierendes Rotwild heute später von den Sommer- in die Winterstreifgebiete wechselt als früher. Auch die Verfügbarkeit von Nahrung und Deckung spielen für das Raumnutzungsverhalten eine entscheidende Rolle. Ein besonders vielfältiges Nahrungsangebot bieten die durch Windwurf oder Borkenkäfer veränderten Habitate. Rotwild nutzt diese Bereiche, die sich hauptsächlich in den Hochlagen der beiden Nationalparke entlang der bayerisch-tschechischen Grenze finden, daher besonders intensiv. Sie gehören zu einem großen Anteil zu den Kerngebieten der Nationalparke, in denen das Wild unbeeinflusst von jagdlichen Eingriffen und touristischer Nutzung leben soll.
Abb.4: Rotwild-Dichteschätzung basierend auf dem Fotofallenmonitoring (© Rotwildprojekt)
Das Wintergatterkonzept hat im Projektgebiet sowohl auf bayerischer als auch auf tschechischer Seite eine lange Tradition. Mit immer milder werdenden Wintern könnte künftig ein immer geringerer Anteil der Rotwildpopulation in den Gattern überwintern. Auch wenn im Rahmen des Projekts der Populationsanteil dieser sogenannten „Außensteher“ nicht quantifiziert wurde, konnten mit Hilfe des Fotofallenmonitorings Tiere außerhalb der Gatter nachgewiesen werden (Abb. 4).
Managementempfehlungen für die Akteure im Projektgebiet
- Die untersuchte Rotwildpopulation nutzt das gesamte Projektgebiet als Lebensraum und überquert bei dem Wechsel von Streifgebieten politische und administrative Grenzen. Der untersuchte Bestand ist somit als eine große, zusammenhängende Population zu betrachten.
- Managementziele sollten von jeder administrativen Einheit gebietsübergreifend kommuniziert und ggf. diskutiert werden, um die komplexe Raumnutzungsbedürfnisse des Rotwilds im Projektgebiet zu berücksichtigen. Internationale Wildtiertagungen können diesen Prozess unterstützen.
- Die Abschussplanung im Projektgebiet verfolgt das Ziel, einerseits den Wildtierbestand zu sichern und andererseits das Ausmaß der Wildschäden auf ein tragbares Maß zu reduzieren. Sie basiert auf den Ergebnissen der Vegetationsgutachten (in Bayern: Forstliche Gutachten zur Situation der Waldverjüngung). Teilweise werden weitere Parameter wie die Zählungen in den Wintergattern und an den Fütterungen oder die Analyse der Jagdstrecke mit einbezogen. Durch Methoden zur absoluten Dichteermittlung konnte wissenschaftlich gezeigt werden, dass der Rotwildbestand größer ist, als dies auf Basis der Zählungen im Winter erwartet wurde. Diese Differenz kann mit einem wachsenden Populationsanteil erklärt werden, der aufgrund der heute milderen Winter ganzjährig Gebiete abseits der Wintergatter nutzt und sich so der Gatterzählung entzieht. Die wissenschaftlichen Methoden zur absoluten Dichteermittlung berücksichtigen auch Tiere, die die Wintergatter nicht aufsuchen.
- Als zukünftige Methode zur Festlegung der Abschusshöhe im Projektgebiet, empfiehlt sich das oben angesprochene Fotofallenmonitoring.
- Ein Teil der untersuchten Rotwildpopulation wechselt regelmäßig zwischen Sommer- und Winterstreifgebiet. Dies führt in einzelnen Bereichen zu einer starken Variation der Wildtierdichte und zu einer Verschiebung des Geschlechterverhältnisses. Beispielsweise ist die Rotwilddichte im Forstbetrieb Neureichenau während der Sommermonate mit weniger als einem Tier pro 100 Hektar im Vergleich zu den Nationalparken Bayerischer Wald und Šumava gering und nimmt im Winter zu, weil Tiere aus den Nationalparken in den Forstbetrieb wechseln.
- Bei der Abschussplanung sollte stärker berücksichtigt werden, wo sich das Wild während der Jagdzeit aufhält.
- Viele Tiere der migrierenden Teilpopulation nutzen im Sommer die geschützten, ruhigen Kerngebiete der Nationalparke. Im Gesamtgebiet sollte der Großteil des Abschusses möglichst vor dem Einsetzen der Herbstmigration durchgeführt werden, um die natürliche Migration möglichst nicht zu beeinträchtigen. Managementmaßnahmen in den Wintergattern des Nationalparks Bayerischer Wald sind momentan zeitlich so gestaltet, dass anteilig mehr Tiere der migrierenden Teilpopulation entnommen werden. Es sollten Managementstrategien entwickelt werden, die es ermöglichen, migrierende Tiere und nicht-migrierende Tiere entsprechend ihres Populationsanteils zu entnehmen.
- Das Raumnutzungsverhalten der Rotwildpopulation wurde im Projektgebiet intensiv beleuchtet. Alle Erkenntnisse auf Grundlage der GPS-Telemetrie basieren aber auf Daten von weiblichen Tieren, die die Wintergatter und Fütterungen nutzen. Als Reproduktionsträger spielen weibliche Tiere für die Populationsdynamik eine besondere Rolle. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass sich das Raumnutzungsverhalten der weiblichen Tiere von dem ihrer männlichen Artgenossen und solchen Tieren unterscheidet, die die Gatter und Fütterungen im Winter nicht aufsuchen.
- Es ist empfehlenswert, das Raumnutzungsverhalten der Rotwildpopulation im Projektgebiet auch unter Berücksichtigung der Hirsche und der sogenannten Außensteher abzubilden.
- Großraubtiere wie Wolf und Luchs beeinflussten die Rotwildpopulation im Projektzeitraum wahrscheinlich wenig. Neben den Auswirkungen des Klimawandels kann das Rotwild im Projektgebiet künftig zusätzlich durch das Auftreten des Großen Amerikanischen Leberegels – einem aus Amerika eingeschleppten Wildtier-Parasiten – beeinflusst werden.
- Monitoringmaßnahmen können dazu dienen, diese Einflussfaktoren zu beobachten um ggf. entsprechend reagieren zu können.
Die verschiedenen Managementsysteme im Vergleich
Rotwild an Futtertischen im Wintergatter
In Bayern sind insgesamt zehn Rotwildgebiete in verschiedenen Landesteilen ausgewiesen. Diese dienen dem Management der Rotwildbestände und ermöglichen gleichzeitig die Interessen von Landeskultur und Jagd in Einklang zu bringen. Der Nationalpark Bayerischer Wald und der Staatsforstbetrieb Neureichenau zählen zu dem fast 55.000 ha großen Rotwildgebiet Bayerischer Wald. In Tschechien bestehen Hegegemeinschaften, Rotwild kommt aber auch außerhalb dieser Hegegemeinschaften vor. Sowohl auf bayerischer wie auch auf tschechischer Seite wird mit einem umfassenden Fütterungskonzept versucht, das Rotwild im Winter an festgelegte, meist umzäunte Bereiche zu binden, um flächige Schäden an land- und forstwirtschaftlichen Kulturen zu reduzieren. Dafür wurden zum Zeitpunkt der Untersuchungen 16 Wintergatter und -fütterungen (sechs in Bayern und zehn in Tschechien) verteilt über das gesamte Projektgebiet betrieben. Sobald sich im Winter eine geschlossene Schneedecke gebildet hat, „locken“ diese Gatter bis zum Frühling unter anderem mit Heu und Grassilage. Das Rotwild zieht zu Beginn der kalten Jahreszeit selbstständig in die Gatter und an die Fütterungen. Milde Winter und geringe Schneelagen führen allerdings dazu, dass das Rotwild diese Einrichtungen immer seltener nutzt.
Im Zentrum der beiden Nationalparke Bayerischer Wald und Šumava wurde eine grenzübergreifende Kernzone eingerichtet. Auf dieser 26.050 ha (18.750 ha Bayerischer Wald und 7.300 ha Šumava) großen Fläche werden menschliche Eingriffe weitestgehend unterlassen, es besteht ein striktes Wegegebot und Rotwild wird auf dieser Fläche nicht reguliert. Anders ist dies in den Randbereichen der beiden Nationalparke. In diesen Bereichen findet eine Regulierung des Rotwilds statt, um Schäden auf den, an die Nationalparke angrenzenden Flächen, zu reduzieren. Der Nationalpark Šumava entnimmt adultes Rotwild ab Anfang Juli (männliche Stücke) bzw. August (weibliche Stücke) bis Ende Januar. Stücke unter zwei Jahren können ganzjährig entnommen werden. Im Nationalpark Bayerischer Wald ist die Regulierung von Rotwild von Anfang Juni bis Ende Januar (Juni und Juli nur Schmaltiere und -spießer) gestattet. Circa 15 bis 35 % der Rotwidstrecke erfüllt der Nationalpark Bayerischer Wald durch Entnahmen in den Wintergattern, so dass eine Reduktion des Jagddrucks außerhalb der Gatter erreicht werden konnte. Im Forstbetrieb Neureichenau wird Rotwild zu den gleichen Zeiten wie im National Bayerischer Wald reguliert, allerdings herrscht auf der gesamten Forstbetriebsfläche im Juli und August Jagdruhe auf Rotwild.
Großraubtiere wie Wolf und Luchs beeinflussten die Rotwildpopulation im Projektzeitraum wahrscheinlich wenig. Auch durch Verkehrsunfälle oder andere Ereignisse kamen nicht mehr als 10 % der Tiere zu Tode. Die Populationsregulation wurde somit vorwiegend durch Bejagung und Gatterabschuss (nur im Nationalpark Bayerischer Wald) erreicht. Auf beiden Seiten der Landesgrenze werden die Abschusspläne anhand des Zustands der Vegetation (Waldverjüngung; z.B. Forstliches Gutachten zur Situation der Waldverjüngung in Bayern) festgelegt. Mit einbezogen werden teils die Abschusszahlen des Vorjahres sowie Zählungen an Wintergattern und -fütterungen.
Anleitung zum Aufstellen von Fotofallen zu wissenschaftlichen Zwecken
Mit Kamerafallen lassen sich Daten zur wissenschaftlichen Dichteabschätzung von Wildtieren erheben (© Rotwildprojekt)
Anleitung zum Aufstellen von Fotofallen zu wissenschaftlichen Zwecken 1,6 MB
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