Kahlwild-, Feisthirsch- und Brunftrudel
© Rupbilder-Fotolia.com
Rotwild lebt die meiste Zeit im Jahr in geschlechtergetrennten Rudeln. Nur zur Brunftzeit oder im Winter in den großräumigen Wintergattern kommen Hirsch und Kahlwild (weibliche Tiere) zusammen vor. Sogenannte Kahlwildrudel bestehen aus den weiblichen Tieren und deren Nachwuchs. Die Kahlwildrudel werden von einem erfahrenen, meist dem ältesten, Alttier angeführt.
Junge und mittelalte Hirsche bilden in der Zeit des Geweihaufbaus (Kolbenhirsche) sogenannte Feisthirschrudel. Die Männertrupps lösen sich zu Beginn der Brunft auf. Auf den Brunftplätzen, zu denen bisweilen lange Wanderungen zurückgelegt werden, bilden sich Brunftrudel. In diesen Brunftrudeln treffen beide Geschlechter zusammen. Die ausgewachsenen Hirsche, also ca. sechs- bis zwölfjährige, versuchen „ihre“ Brunftrudel gegen Rivalen während der etwa dreiwöchigen Brunft zu verteidigen.
Durch das markante Röhren der Hirsche während der Brunftzeit (September/Oktober) werden die jeweiligen Territorien abgegrenzt. Daneben nutzt der Platzhirsch, der "Chef" auf dem Brunftplatz, ein großes Repertoire an Imponiergehabe, um Nebenbuhlern seine Rolle deutlich zu machen. Das Ziel: Nur der vitalste Hirsch soll sich vererben können.
Meist funktioniert dies auch hervorragend, ohne dass es zu direkten Kämpfen zwischen den Hirschen kommt. Nur wenn sich ein Rivale dem Platzhirsch ebenbürtig glaubt, ihm seine Rolle streitig macht und sich nicht vertreiben lässt, wird das mächtige Geweih eingesetzt und kann mitunter zur tödlichen Waffe werden.
Während der "Platzhirsch" einen Herausforderer in seine Schranken weist, ist er vom übrigen Geschehen abgelenkt. Vereinzelt nutzen jüngere Hirsche diese Gunst der Stunde und versuchen eine Hirschkuh für sich zu gewinnen.
Anstrengende Brunft
Das Brunftgeschehen Ende September/Anfang Oktober ist für die Hirsche extrem kräftezehrend. Sie verlieren dabei fast ihre ganzen Fettreserven. Nur die ausgewachsenen Hirsche haben auf dem Brunftplatz eine Chance, ein Rudel in Besitz zu nehmen. Dazu müssen die Hirsche ständig aktiv sein. Ihre Kampfbereitschaft gegenüber Rivalen demonstrieren sie durch Röhren, dem Schlagen des Geweihes gegen junge Bäume oder durch ihren "Körpergeruch", der in der Brunft besonders stark ist.
Imponieren statt kämpfen
Mit ihrem Verhalten auf dem Brunftplatz wollen Hirsche im Grunde direkte Kämpfe mit Gegnern vermeiden. Nicht nur durch das Röhren, sondern besonders durch die Darstellung der Körpergröße (unter anderem durch die Brunftmähne am Hals oder das nebeneinander her schreiten im Parallelmarsch) versuchen sie zu imponieren. Auch das Geweih wird mehr zur Verteidigung und zum Drohen eingesetzt, denn als Waffe. Kommt es trotz Drohgebärden zu einem direkten Kampf zwischen den rivalisierenden Hirschen, kann dieser tödlich enden, wenn ein Hirsch den anderen "forkelt" (mit dem Geweih schwer verletzt).
Kalb und Alttier in Kontakt über Duftverbindung
Nach der Brunft trennen sich die Geschlechter wieder in Hirsch- und Kahlwildrudel. Die trächtigen Tiere sondern sich im Mai/Juni von ihrem Kahlwildrudel ab und setzen (gebären) nach einer Tragzeit von acht bis neun Monaten ihr Kalb. In der Regel wird ein Kalb pro Tier geboren. Zwillingskälber sind extrem selten.
Nach der Geburt "reinigt" das Alttier den Setzplatz. Die Nachgeburt wird sofort gefressen, um keine Raubtiere anzulocken. Anschließend wird das Kalb sauber geleckt und zum ersten Mal gesäugt. Das Geburtsgewicht des Kalbes liegt bei 8-12 Kilogramm. Es ist voll entwickelt, kann bald nach der Geburt stehen und laufen, bleibt aber zunächst in Deckung und folgt dem Alttier (Muttertier) nicht. Dennoch ist das Kalb nicht ganz allein. In der "Abliegephase" sind beim Kalb die den Augen vorgelagerten Präorbitaldrüsen, aus denen ein geruchsintensives Sekret austritt, geöffnet. Das Alttier entfernt sich mit der Windrichtung und steht somit immer mit seinem Kalb in geruchlichem Kontakt.
Aufgrund seiner Fellfärbung ist das Kalb optimal getarnt. Droht dennoch Gefahr, drückt es sich auf den Boden und schließt die Voraugendrüsen, so dass das "Geruchsband" zum Alttier abreißt. Dieses wird sich vorsichtig, oft mit langsamen Stechschritten, dem Kalb nähern und es notfalls gegen Fressfeinde verteidigen.
Starke Familienbande
Innerhalb der ersten drei bis vier Wochen sucht das Alttier das Kalb nur zum Säugen auf. Dann beginnt es dem Muttertier zu folgen und nimmt zunehmend feste Nahrung (Äsung) auf. Die führenden Alttiere mit ihren Kälbern und die Vorjahresjungen (Schmaltiere, Schmalspießer) gesellen sich, sobald die Kälber folgen, wieder mit anderen weiblichen Tieren in Kahlwildrudeln zusammen. Die meisten Tiere in den Kahlwildrudeln sind eng miteinander verwandt. Die engste Verwandtschaft besteht innerhalb der Mutterfamilie (Gynopädium).
"Gynopädium" - Was soll denn das sein?
Die kleinste Rudelform ist das Gynopädium, so der Fachbegriff. Diese "Mutterfamilie" besteht aus Alttier, Schmaltier oder Schmalspießer und Kalb, die nicht nur verwandtschaftlich miteinander eng verbunden sind. Die Schmaltiere und die Junghirsche, bleiben bis zum Alter von mindestens zwei Jahren bei der Mutter, dem Alttier. Durch diese enge Bindung lernt das Kalb und später das Schmaltier oder der Spießer wichtige Orte und Verhaltensweisen kennen. So werden auch Wanderrouten zu den Brunftplätzen oder in die Überwinterungsgebiete tradiert.