Revierübergreifende Kirrungsjagd
Kritisches Hinterfragen und den Mut, auch Neues auszuprobieren, bringt uns beim Umgang mit dem Schwarzwild weiter. In aller Munde sind revierübergreifende Bewegungsjagden. Wenig umgesetzt sind Ansätze einer revierübergreifenden Kirrjagd. Dies verwundert, zumal mit den Futtergaben zum Anlocken der Wildschweine nicht nur die Raumnutzung der Tiere "gesteuert", sondern sehr wahrscheinlich auch auf die Populationsdynamik Einfluss genommen wird.
Wo liegen konkrete Ansatzpunkte die Nutzung dieser Bejagungsmethode in der Jagdpraxis zu verbessern?
Standardjagdmethode auf Schwarzwild?
Die Kirrjagd ist für viele Jäger "die" Standardjagdmethode auf Schwarzwild. Dies wird nicht nur in Umfragen unter der Jägerschaft bestätigt. Auch in wissenschaftlichen Untersuchungen, die sich mit Nahrungsinhalten von Wildschweinmägen beschäftigten, wurden hohe Anteile von Getreide (vor allem Körnermais) aus den verschiedenen Formen der Fütterung, insbesondere aus der Kirrung, nachgewiesen.
Die Nahrungsbestandteile, die aus den Kirrungen stammen, sind in den untersuchten Schwarzwildmägen je nach Jahreszeit und Region beträchtlich. Dies wirft Fragen nach den Effekten auf die Schwarzwildpopulation auf. Ist diese Beeinflussung eines Wildtieres überhaupt notwendig?
Grundsätzliche Überlegung: Futtergaben für Wildtiere?
Grundsätzlich sollte es unser Bestreben sein, die Wildtiere "wild" zu lassen.
Wildtiere können grundsätzlich ohne zusätzliche Futtergaben leben und überleben. Ausnahmen sind nur äußerst selten notwendig. Wildtiere sind nämlich seit Jahrtausenden an natürliche (winterliche) Nahrungsengengpässe, aber auch an die Witterung, an mögliche Fressfeinde oder an die diversen Krankheiten, die sie heimsuchen können, bestens angepasst. Diese Anpassung besteht auch in der durch den Menschen veränderten Kulturlandschaft.
Grundsätzlich sollte es unser Bestreben sein, die Wildtiere "wild" zu lassen. Eine Übertragung von Aspekten der Haustierhaltung wie z. B. eine Fütterung von Wildtieren sollte daher i. d. R. unterbleiben. Diese "ökologische" Sichtweise ist allerdings nicht unumstritten. Es werden ebenso Argumente vorgetragen, die eine Fütterung von Wildtieren in unserer Kulturlandschaft für erforderlich halten.
Darüber hinaus werden Jagdmethoden angewendet, die durch Futtergaben das Wild zur Erlegung anlocken sollen (Kirrjagd). Eine kritische Betrachtung der Thematik ist daher unbedingt angezeigt. Wenn überhaupt Futtergaben für Wildtiere als sinnvoll und notwendig erachtet werden, sollten sie sich im Interesse des jeweiligen Wildtieres, insbesondere beim Wildschwein, auf das Allernotwendigste beschränken.
Warum? Und welche Formen der Fütterung werden im Schwarzwildmanagement überhaupt unterschieden?
Kirrung, Ablenkfütterung und Notzeitfütterung
Drei Formen zusätzlicher Futtergaben finden seit Jahren im Schwarzwildmanagement Anwendung. Diese sind gerade in der aktuellen Situation hoher Schwarzwilddichten und bester Ernährungsbedingungen für diese Wildart kritisch zu hinterfragen.
Neben der Notzeitfütterung (Fütterung von dem Jagdrecht unterliegenden Wildarten in der Notzeit laut gesetzlichen Vorgaben) und der Ablenkfütterung (Ablenkung von der schadensgefährdeten Feldflur durch Futtergaben im Wald, ohne dass an diesen Stellen gejagt wird) ist dies die vielerorts eingesetzte Kirrjagd. Darunter versteht man das Anlocken des Schwarzwildes ausschließlich mit geringen Futtergaben (meistens Körnermais) an bestimmte Stellen (im Wald) und dies nur zum Zwecke der leichteren Erlegbarkeit.
In der Jagdpraxis sind die Übergänge zwischen diesen Fütterungsformen trotz der klaren rechtlichen Definitionen bisweilen fließend. Ablenkfütterungen mutieren nach dem Abernten der gefährdeten Feldfrüchte zu Kirrungen oder umgekehrt.
Richtlinien für die Hege und Bejagung des Schalenwildes in Bayern (Bayerische Staatsregierung)
Aspekte der Kirrjagd: Bekanntes, Unbekanntes, Wahrscheinliches
Die Populationswachstumsstrategie (r-Stratege) und die Ernährungsphysiologie des Wildschweins legen nahe, dass durch die Futtergaben an den Kirrungen die Populationsdynamik beeinflusst wird (vgl. auch Geisser, 2000; Hahn, 2003; Geisser & Reyer, 2004). In welchem Umfang ist unbekannt. Ebenso ist nicht bekannt, in welchem Ausmaß die Nahrungsverfügbarkeit durch Feldfrüchte (Maisanbau, Ernterückstände) die Populationsdynamik beeinflusst. Trotz dieser Ungewissheiten wird die Kirrjagd seit Jahren und nahezu flächendeckend als bedeutendste Jagdmethode angewendet.
In der Jagdpraxis liegt für viele Jäger ein wesentlicher Aspekt der Kirrjagd auch darin begründet, dass sich Schwarzwild durch die Futtergaben mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ins "eigene" Revier locken bzw. dort halten lässt.
In Abhängigkeit von der Intensität der Kirrung, den Lebensraumbedingungen, der Reviergröße, der Bejagungsintensität, den angewendeten sonstigen Jagdmethoden etc. kann Schwarzwild mittels Kirrjagd auch in naturräumlich ungünstigen Lebensräumen gehalten werden. Dies dürfte insbesondere dann möglich sein, wenn es keine revierübergreifenden Absprachen zur ausgebrachten Futtermenge, zu Kirrungszeiträumen, Bejagungsintensität, Standorten oder der Anzahl von Kirrungen gibt.
Die Gewöhnungseffekte an Kirrungsstandorte sind vor allem in Phasen natürlicher Nahrungsknappheit groß. Dies belegen die Jagderfolge an Kirrungen in solchen Zeiten. Allerdings ist die Lockwirkung von Kirrungsmais oder andern Futtermitteln in Mastjahren von Eiche oder Buche eingeschränkt. Dadurch sinkt der Jagderfolg, weil Schwarzwild seltener oder gar nicht an Kirrungen kommt.
Insbesondere in Vollmastjahren ist aber durch die optimalen natürlichen Ernährungsbedingungen (Verfügbarkeit der herbstlichen Baummast bis in die Sommermonate hinein; Hahn & Eisfeld, 2002) ein überdurchschnittlicher Reproduktionserfolg wahrscheinlich. Auch diese Zusammenhänge zeigen, dass durch die Kirrjagd allein eine notwendige Abschöpfung des jährlichen Zuwachses nicht gewährleistet werden kann.
Ein weiterer Aspekt ist bei der Betrachtung der "Kirrjagd" wichtig:
Die Kirrjagd findet in der Regel als Ansitzjagd in der Dämmerung oder Nacht statt (vgl. Linderoth, 2008). Das beschränkt die Intensität ihrer Nutzung für den einzelnen (z.B. berufstätigen) Jäger. Ebenso können die Wetter- und Lichtbedingungen (Nachtjagd nur bei ausreichendem Mondlicht oder Schnee) die zeitliche Nutzung von Kirrungen einschränken.
Die zeitlichen Spielräume der Jäger, die in ihrer Freizeit jagen müssen, sind begrenzt. Daher dürfte es, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt möglich sein, die Kirrjagd zu intensivieren. Zu diesem Schluss kommt beispielsweise auch Linderoth (2008) in einer Untersuchung in Baden-Württemberg (vgl. auch Elliger et al., 2001; Linderoth et al., 2010):
"Bei der verbreitetsten Methode der Ansitzjagd, der Kirrjagd im Wald, sind selbst bei relativ hoher Schwarzwilddichte im Mittel 9 Nachtansitze (∅ 30 Mannstunden) pro erlegtem Stück erforderlich. ... Der Zeitaufwand der Ansitzjagd ist schon heute sehr hoch und nicht beliebig steigerbar. In Anbetracht jährlicher Zuwachsraten des Schwarzwilds von bis zu 300% ist allein mit den Mitteln der Ansitzjagd auf Revierebene eine Bestandsbegrenzung nicht möglich. Dringend erforderlich ist die Intensivierung revierübergreifender Jagdmethoden wie der Drückjagd, insbesondere in Mastjahren, wenn mit den höchsten Zuwächsen zu rechnen ist."
Optimierungspotential konsequent nutzen
Seit Jahren liegen mit der Schalenwildrichtlinie für Bayern auch entsprechende Empfehlungen zum Umgang mit der Kirrung im Schwarzwildmanagement vor. Trotzdem werden vor Ort auch unsachgemäße Formen der Kirrung, Ablenkfütterung oder Fütterung bekannt. Eine Sensibilisierung aller Beteiligten für einen restriktiven und sachgerechten Umgang mit allen Formen der Fütterung ist daher eine vordringliche Aufgabe.
In dem Projekt "Brennpunkt Schwarzwild" der LWF arbeiteten die Beteiligten konkrete Ansatzpunkte für Verbesserungsmöglichkeiten heraus. Ebenso geben die unterschiedlichen Vorträge zum Themenfeld "Kirrjagd" im Rahmen eines "Expertenhearings" am StMELF Anregungen zur Optimierung der Kirrjagdmethode.
Projektbericht Brennpunkt Schwarzwild (LWF)
Als Ausgangspunkte für die notwenige Umsetzung von revierübergreifenden Kirrjagdkonzepten lassen sich folgende Aspekte nennen:
- Der "natürliche" Energieeintrag (Baummast, Feldfrüchte in der Landwirtschaft etc.), der Schwarzwild als Nahrung im jeweiligen Lebensraum zur Verfügung steht, kann kaum oder nur langfristig beeinflusst werden.
- Die Verfügbarkeit der im Ökosystem produzierten Schwarzwildnahrung ist in den letzten Jahrzehnten in vielen Regionen gestiegen. Sie wird vor dem Hintergrund der prognostizierten Klimaveränderungen und sich ändernder Bewirtschaftungsformen in der Land- und Forstwirtschaft voraussichtlich auch in den kommenden Jahren optimal sein und das Populationswachstum der Schwarzwildbestände weiter begünstigen.
- Neben den drei Formen der Fütterung (insbesondere der Kirrung) können Silo- oder Getreideabfälle sowie Ernterückstände auf den Feldern als Schwarzwildnahrungsquellen mehr oder weniger direkt und kurzfristig beeinflusst werden.
- Es mangelt an Transparenz und revierübergreifender Abstimmung (kein gegenseitiger Austausch über Standorte, Anzahl, Kirrungszeiträume, Beobachtungen etc.), obwohl sich die "Kirrjagd" immer revierübergreifend auswirkt (Raumsteuerung und mit hoher Wahrscheinlichkeit Beeinflussung des Populationswachstums).
- Die Kirrjagdpraxis ist dann kontraproduktiv zum Ziel einer Bestandsabsenkung, wenn die jagdliche Abschöpfung geringer ist als der Schwarzwildzuwachs durch die Futtergaben.
- Die Kirrjagd ist nur eine Möglichkeit, um Schwarzwild gezielt zu bejagen. Sie ist abhängig vom Wissen und Können, von der Kooperationsbereitschaft und dem Verantwortungsbewusstsein sowie dem (zeitlichen) Engagement des einzelnen Jägers.
Verbesserungen "auf den Boden bringen"
Das Vorgehen zur Optimierung der Kirrjagd kann wie nachfolgend dargestellt ablaufen: