Forschungsprojekt: Risikoabschätzung für Wildtiere durch den invasiven Parasiten Großer Amerikanischer Leberegel
Hintergrund des Projekts
(© LWF)
Während auf dem amerikanischen Kontinent unter anderem Weißwedel- und Wapitihirsche infiziert werden, befällt der Leberegel in Europa die hier heimischen Huftierarten – bevorzugt den Rothirsch. Der GAL parasitiert aber auch eine Vielzahl anderer freilebender Arten, darunter Dam- und Sikahirsch, Reh, Gams und Wildschwein. Ebenso aber auch Nutztiere, sodass Rinder-, Pferde-, Schweine-, Ziegen-, und Schafbestände potenziell durch eine Infektion gefährdet sind. Einige dieser Wirte zählen zu den sogenannten Neben- oder Irrwirten (siehe Infobox). Egel, die einen solchen Wirt nutzen, gelingt in der Regel kein Abschluss des Lebenszyklus und somit auch keine Reproduktion. Menschen werden von dem GAL nicht befallen. Der Lebenszyklus des GAL ist komplex und beinhaltet neben dem Endwirt semi-aquatische Schnecken als Zwischenwirte.
Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden vor dem beschriebenen Hintergrund die aktuellen Infektionsraten (Prävalenz) bei Rothirschen, Rehen und Wildschweinen im Projektgebiet erhoben. Zudem wurde die Verbreitung der Zwischen- und Endwirte untersucht, um mögliche Infektionshotspots zu lokalisieren. Zusammengefasst waren die Ziele des Projektes die folgenden:
- Modellierung der räumlichen Verteilung von Zwischen- und Endwirten unter Zuhilfenahme von Umweltparametern
- Untersuchung der Interaktion zwischen Parasit und Endwirt
- Feststellung der Verbreitung und Häufigkeit des Parasiten über die Untersuchung von Lebern der Endwirte und Losungsproben (Kotproben)
- Untersuchung des Einflusses des Parasiten auf die Kondition und Konstitution der Endwirte
- Lokalisierung von Infektionshotspots für Endwirte
- Integration lokaler Akteure in die Untersuchungen und nachhaltige Informationsvermittlung über diesen Parasiten
Der Lebenszyklus des Großen Amerikanischen Leberegels
Abb. 1: Lebenszyklus des Großen Amerikanischen Leberegels. 1. adulter Egel in der Leber eines Endwirts, 2. Ei, 3. Mirazidium, Entwicklung über Sporozyste zu Mutter- und Tochterredien in den Zwischenwirten Alpen-Schlammschnecke (Radix labiata, 4.) oder Kleine Sumpfschnecke (Galba truncatula, 5.), 6. Zerkarie, 7. Metazerkarie. (© Pavel Procházka, NP Šumava)
Diese Parasitenlarven dringen in ihre Zwischenwirte durch ihre Außenhaut ein. In den Schnecken entwickelt sich die Mirazidie zur Sporozyste, aus der über sogenannte Mutter- und Tochterredien mehr als 1.000 Zerkarien hervorgehen können. Nachdem diese Zerkarien die Schnecken wieder verlassen haben, lagern sie sich als Zyste an Pflanzenbestandteilen an. Diese mikroskopisch kleinen Zysten sind nicht mit dem menschlichen Auge erkennbar, aber in ihnen sind die für den Endwirt schlussendlich infektiösen Metazerkarien enthalten. Besonders gut können die Zysten in feuchter Umgebung überdauern, sodass sie mehrere Monate infektiös bleiben können. Im Allgemeinen hat auch die Temperatur Auswirkungen auf den Lebenszyklus des GAL: Niedrige Temperaturen verlangsamen zwar den Entwicklungsprozess, führen aber nicht immer zum Absterben des Parasiten. Deshalb können Parasiteneier oder die Larvenstadien in der Schnecke den Winter überdauern und ihre Entwicklung im nächsten Frühjahr fortsetzen.
Nimmt ein Endwirt, beispielsweise ein Rothirsch, Pflanzenmaterial auf, an dem sich infektiöse Zysten abgelagert haben, gelangen diese in seinen Verdauungstrakt. Die Metazerkarien verlieren dort ihre Schutzhülle und dringen über die Darmwand in die Bauchhöhle ihres Wirts ein. Von dort aus erreichen sie die Leber, in deren Gewebe der Egel nun wandert und dabei Fraßgänge anlegt. Dadurch wird die Leber geschädigt – adulte Leberegel können immerhin eine Größe von rund 3,5 x 10 Zentimetern erlangen (Im Vergleich: der heimische große Leberegel erreicht eine Größe von rund drei Zentimetern). Der Parasit hört meist auf zu wandern, sobald er auf einen Artgenossen stößt. Das Immunsystem des Wirts beginnt daraufhin die Parasiten in eine faserige Gewebehülle, der sogenannten Pseudozyste, einzuschließen. In der Pseudozyste erreichen die Egel die Geschlechtsreife. Egel, die in der Leber ihres Wirts auf keinen Artgenossen stoßen, können sich einzeln in eine Zyste einschließen und sich asexuell reproduzieren. Auf beiden Wegen wird eine große Anzahl an Eiern produziert. Die Pseudozysten sind in den spezifischen Endwirten über Gallengänge mit deren Darm verbunden. Über diesem Weg gelangen die Parasiteneier mit dem Kot des Wirts in die Umwelt und der Zyklus beginnt von neuem.
Wildtierbiologische Methoden
Um die oben genannten Projektziele zu erreichen, wurden verschiedene wildtierbiologische Methoden angewandt. So wurden zunächst die beiden Schneckenarten, welche der GAL als Zwischenwirte nutzt, im Sommer 2021 an 865 Standorten kartiert und Umweltparameter an den Fundorten erhoben. Anschließend wurde das Vorkommen beider Arten unter Zuhilfenahme der bevorzugten Umweltparameter für die gesamte Projektfläche modelliert. Auch die Verbreitung der Endwirte sollte abgeschätzt werden. Dafür wurden Fotodaten aus dem bereits abgeschlossenen Forschungsprojekt „Neue Wege zu einem grenzüberschreitenden Rotwildmanagement in Zeiten des Klimawandels“ erneut verwendet. Diese wurden ebenfalls mit Umweltvariablen verschnitten.
Als weitere Nachweismethode standen die Lebern von erlegten Rothirschen, Rehen und Wildschweinen aus dem Jagdjahr 2021/22 für Untersuchungen zur Verfügung, wobei Rehe und Wildschweine nur im Nationalpark Šumava und im Forstbetrieb Neureichenau beprobt wurden.
Die wichtigsten Ergebnisse
Abb. 2: Gebiete mit erhöhtem Infektionsrisiko für Rothirsche.(© Marc Velling, NP Bayerischer Wald )
Abb. 3 (© Marc Velling, NP Bayerischer Wald)
Abb. 4:Anteil der durch den GAL befallenen Rothirschlebern getrennt nach Geschlecht und Altersklasse. (© Tomáš Peterka, NP Šumava)
Handlungsempfehlungen und Ausblick
Das beschriebene Projekt lieferte bereits aufschlussreiche Erkenntnisse über die Infektionslage im Projektgebiet und konnte vorhandene Wissenslücken über die Verbreitung des GAL auf bayerischer und tschechischer Seite schließen. Doch die Projektergebnisse stellen lediglich eine Momentaufnahme dar. Die bereits in wenigen Projektjahren ermittelten und zum Teil erheblichen Infektionsraten betonen die Notwendigkeit eines Monitorings des Infektionsgeschehens, denn es ist davon auszugehen, dass sich die Ausbreitung des GAL momentan in einer dynamischen Phase befindet.
Die Möglichkeiten eine weitere Ausbreitung des GAL aktiv einzudämmen sind begrenzt und setzen an unterschiedlichen Stellen des Lebenszyklus des Parasiten an. Ihnen ist gemein, dass sie nach einer engen Zusammenarbeit von Gebietsverwaltungen, Landwirten, Jagdausübenden sowie Organisationen des Jagd- und Wildtiermanagements verlangen. Dies sollte über nationale Grenzen hinaus erfolgen, da Rothirsche diese in Zuge ihrer Migrationsbewegungen überschreiten, wie vorangegangene Studien im Böhmerwald-Ökosystem zeigen. Da sowohl die Temperatur wie auch die Verfügbarkeit feuchter Flächen einen Einfluss auf den Lebenszyklus des GAL haben, erlangt die Beobachtung der Ausbreitungsdynamik des Parasiten vor dem Hintergrund eines sich verändernden Klimas zusätzliche Bedeutung. Im Folgenden werden stichpunktartig mögliche Empfehlungen für das künftige Parasitenmanagement genannt:
- Das weitere Monitoring der Befallsraten des Wildtierbestands ist notwendig, um die Infektionsdynamik in den kommenden Jahren nachvollziehen zu können. Hierzu empfiehlt sich grundsätzlich eine möglichst großräumige standardisierte Beprobung. Jede Leber sollte sorgfältig vom Erleger untersucht werden.
- Die Nutzung von nassen und feuchten Lebensräumen durch Rothirsche sollte nicht gefördert werden. Folglich wird das Schließen der Wintergatter über den Sommer, der Hauptinfektionszeit der Endwirte, als präventive Maßnahme empfohlen. So könnten Infektionen während des Sommers vermindert werden, da die Gatter durch die Dichtekonzentrationen der Rothirsche und somit einem hohen Losungsaufkommen im Winterhalbjahr mögliche Infektionshotspots darstellen. Dies sollte auch beim Anlegen von Kirrungen beachtet werden.
- Die medikamentöse Behandlung von Wildtieren ist im Allgemeinen schwierig, da die Dosierung schwer zu kontrollieren ist und die Wirksamkeit aufgrund wiederholter Infektionen oft nicht anhält. Sie stellt daher, insbesondere in Schutzgebieten keine geeignete Maßnahme zur Eindämmung dar.
Einteilung der GAL-Endwirte
Die Klassifizierung der Endwirte hängt davon ab, ob der GAL in ihnen den Entwicklungszyklus abschließen kann, sodass Eier in die Umwelt freigesetzt werden.
Spezifische Endwirte:
- Reproduktion des GAL möglich
- In Europa Vertreter der Cervidae: Rothirsch (Cervus elaphus), Damhirsch (Dama dama), Sikahirsch (Cervus nippon)
- Befall durch einzelne Parasiten meist symptomlos, bei starkem Befall Gewichtsabnahme und bei männlichen Wirten Einschränkung der Geweihbildung möglich; Tod nur bei äußerst massivem Befall
Nebenwirte:
- Immunsystem bildet in der Leber Pseudozysten, die aber dickwandig und selten über Gallengänge mit dem Darm verbunden sind; produzierte Parasiteneier können die Pseudozyste folglich nicht verlassen
- Beispiele: Hausrind (Bos taurus), Hauspferd (Equus caballus), Hausschwein (Sus scrofa f. domestica), Wildschwein (Sus scrofa)
- Ähnliche Krankheitssymptome wie die spezifischen Endwirte, Infektionen beim Rind fast immer klinisch unauffällig
Irrwirte:
- Keine Bildung von Pseudozysten
- Reh (Capreolus capreolus), Hausziege (Capra aegagrus f. hircus), Hausschaf (Ovis gmelini f. aries), Gams (Rupicapra rupicapra)
- Besonders durch einen Befall gefährdet, da das andauernde Wanderverhalten des Egels in der Leber diese in besonderem Maße schädigt; auch geringer Befall kann unbehandelt innerhalb weniger Monate zum Tod führen
Das Projekt »Risikoabschätzung für Wildtiere durch den invasiven Parasiten Großer Amerikanischer Leberegel« (Laufzeit: April 2021 – Dezember 2022) wurde überwiegend durch das Programm zur grenzübergreifenden Zusammenarbeit Freistaat Bayern-Tschechische Republik Ziel ETZ 2014-2020 (INTERREG V) finanziert .